Im Wandersegelflug nach Marburg und Leer

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Wettbewerbe, Meisterschaften, Lehrgänge, Fluglager - faktisch alles fällt dieses Jahr den Einschränkungen infolge Corona zum Opfer. In einem Einsitzer Wandersegelflug von einem Flugplatz zum anderen zu unternehmen, fällt glücklicherweise nicht darunter. Nachdem Oliver Predelli schon 2017 eine Runde durch Deutschland gedreht hat, soll dieses Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten eine Neuauflage folgen.

Innenstadt von Marburg

Sein diesjähriger Kurs führt ihn auf eine Dreieckstour über Marbug und Leer. Aber lest selbst Olivers Bericht...

Im Wandersegelflug nach Marburg und Leer

Was mag ein Hotelier denken, wenn ich vor ihm stehe? In der linken Hand einen Leinenbeutel mit Kleidung, in der rechten Hand einen mit Bordakkus, Ladegerät und allerhand Kleinkram. Dazu eine Sonnenbrille auf der Nase und auf dem Kopf ein drolliger weißer Sonnenhut. Wahrscheinlich hält er mich für spleenig, sicher für harmlos und begegnet mir daraufhin mit größtmöglicher Freundlichkeit.

Mein diesjähriger Wandersegelflug fällt wegen des Wetters und wegen Corona deutlich kleiner aus als ursprünglich gedacht. Gerade die Corona-Beschränkungen erfordern eine gründliche Umplanung. Denn bei einigen Bundesländern ist kurz vor Reisebeginn nicht klar, ob sie Touristen ins Land lassen werden. Und auch das Landen auf Vereins-Flugplätzen kann ich vergessen, denn als fremder Pilot passe ich bestimmt nicht in deren Hygienekonzept. Bei der Routenplanung konzentriere ich mich daher auf Niedersachsen, Hessen und eventuell NRW. Als Ziel kommen von vornherein nur Verkehrslandeplätze in Frage. Dort kann ich eine professionelle Sachlichkeit im Umgang mit Corona erwarten. Zudem haben Verkehrslandeplätze sieben Tage in der Woche geöffnet, und die Betreiber sind mit nachmittäglichem Landen, nächtlichem Abstellen und morgendlichem Starten erfrischend unkompliziert. Meine Wahl fällt schließlich auf das Dreieck Wilsche - Marburg - Leer - Wilsche.

Über dem Edersee auf dem Weg nach Marburg

Der erste Flugtag führt mich über den Ith, am Solling vorbei an die Weser. Dem Fluss folge ich ein kurzes Stück bis Bad Karlshafen, um von dort aus die Kontrollzone Kassel westlich zu umfliegen und über Warburg und den Edersee direkten Kurs auf Marburg zu nehmen. Unter lockerer Kumulusbewölkung steigt die Basis von anfangs 1400 m auf später 1800 m. Gute Steigwerte erlauben ein bequemes Fliegen, sodass ich nach gemütlichen dreieinhalb Stunden in Marburg landen kann. Nachdem die DG400 sicher verpackt und verankert ist, gönne ich mir im Garten des Flughafenrestaurants noch ein Schnitzel. Dann geht‘s mit dem Taxi ins Hotel nach Marburg. Marburg kenne ich noch nicht. Die historische Oberstadt liegt unterhalb des Schlosses. Unzählige Fachwerkhäuser stehen in kleinen verwinkelten Gassen. Die Wege sind oft so eng und steil, dass man sie gleich als Treppen gebaut hat. Schon die Gebrüder Grimm meinten, in Marburg gäbe es mehr Treppen auf den Straßen als in den Häusern.

Das historische Rathaus von Marburg

Am nächsten Morgen muss ich mich bei einem Bäcker zunächst mit Brötchen eindecken, da das Hotel coronabedingt kein Frühstück anbietet. Danach geht es hinaus zum Flugplatz, der unter einem blauen, wolkenlosen Himmel völlig verlassen liegt. Bis ich meinen Flieger startklar habe, erscheint der Flugleiter und es kann losgehen. Der Tag beginnt mit Blauthermik. An solchen Tagen zu früh zu starten kostet Zeit und Sprit. Zweimal muss ich nach dem Start den Motor anwerfen. Immer noch im Blauen finde ich erst hinter Korbach den ersten brauchbaren Bart. Die erste Wolke steht dann über dem Hausbart des Flugplatzes Vinsbeck. Danach ist das Segelfliegen wieder einfach. Links hat man einen herrlichen Blick auf den charakteristischen Bogen des Eggegebirges und des Teutoburger Waldes. Weiter nördlich liegt das Wiehengebirge als letzter Höhenzug vor der norddeutschen Tiefebene. In der Nähe von Porta Westfalica gleite ich ins Flachland. Damit verändert sich die Landschaft deutlich. Riesige Moorlandschaften reihen sich dort aneinander: das Große Moor bei Uchte, das Neustädter Moor, das Freistätter Moor. Beeindruckend ist das Goldenstedter Moor bei Vechta, in dem immer noch Torf abgebaut wird. Ich frage mich, ob es für die Gegend auch eine Karte mit Außenlandefeldern gibt. Denn über grabendurchzogenen Wiesen, auf denen nicht nur das Wasser, sondern manchmal auch Kühe stehen, möchte man nicht gerne absaufen. Thermisch habe ich zunächst großes Glück. Auf dem Weg nach Norden, über die Moorgebiete hinweg, fliege ich direkt entlang einer Luftmassengrenze. Rechts stehen Wolken bis zum Horizont, links ist alles Blau. Thermisch drückt es mich an dieser Luftmassengrenze mit 2 bis 3 m/s aufwärts, trotz der ganzen Feuchtigkeit im Boden. Leider muss ich kurz vor Vechta nach Westen drehen, und der Spaß ist zu Ende. Im Blauen fällt die Basis sprunghaft von 1200 m auf 800 m. Thermisch geht kaum noch etwas, ich komme immer tiefer, sodass ich schließlich vor Cloppenburg den Motor anschmeißen muss, um mich so auf die Endanflughöhe für Leer-Papenburg zu ziehen. Der Flugplatz Leer ist beliebt bei Inselfliegern. Dementsprechend viele Motorflugzeuge sind in der Luft. Dass ich dort als Segelflieger auftauche, überrascht wahrscheinlich die beiden Motorpiloten, die meinetwegen mit ihrem Start warten müssen. Schließlich kann ich im Gleitflug meinen Gegenanflug nicht beliebig verlängern, bis die Piste wieder frei ist.

Im Anflug auf Leer

Als ich nach der Landung und dem Besuch bei der Flugaufsicht wieder auf dem Weg zu meinem Flugzeug bin, steht da plötzlich Otto Waalkes neben einer einmotorigen Maschine. "Ja, Otto kommt hier häufiger vorbei", sagt mir der Taxifahrer hinterher. Im Norden kennt man sich. Es bleibt noch Zeit für einen Stadtbummel und Greetsieler Krabben in einem ausgezeichneten Fischrestaurant, bevor ich totmüde ins Bett falle.

Die alte Waage am Museumshafen, dahinter das Rathaus in Leer

Am nächsten Morgen gibt es Frühstück im Hotel. Man hat das Buffet lediglich durch einen Ankreuz-Zettel ersetzt, und das Essen wird anschließend auf einem Tablett serviert. Über dem Flugplatz zeigen sich derweil die ersten Kumuluswolken.

Der Flugplatz Leer an einem Hammerwetter-Morgen

Darauf habe ich spekuliert. Denn für diesen Tag hatten die Wetterberichte schon vor Reisebeginn beste Thermik angekündigt. Wann, wenn nicht bei Hammerwetter, kann man es mit einem Segelflugzeug bis nach Ostfriesland wagen? Bereits im ersten Bart steige ich auf 1000 m. Es geht an Oldenburg vorbei, und bei Elsfleth kreuze ich die Weser. Über dem Teufelsmoor bei Worpswede, thermisch normalerweise eher schwierig, liegt die Basis in 1800 m, das Steigen beträgt 3 m/s. Ein leichter Ostwind kommt direkt von vorne, sodass ich mich über weite Strecken in tragende Linien hängen kann. Nachdem ich über Uelzen ein letztes Mal auf 2000 m steige, brauche ich nach Wilsche nur noch abzugleiten.