"So kalt wirds schon nicht werden"...

am .

Ein Flugtag in einem - je nach Teilnehmer - ein- bis zweiwöchigem Segelflugurlaub von Martin und Tom in den französischen Seealpen kann nun wirklich nicht als die finale Erfüllung angesehen werden. Erstens kann man das aber nicht ändern, da das Wetter nun mal ist, wie es ist, zweitens bietet das Ganze aber offenbar genug Material, daß sich jemand bemüßigt fühlt, einen Bericht in die Erlebnisrubrik zu stellen. So schlimm kanns also doch nicht gewesen sein.

Beeindruckende Wolken über dem Pic de Bure lassen ahnen, was gehen kann...

Wir wollen nicht zu viel verraten, dieser eine Flug hat den Beteiligten den Aufenthalt doch zu etwas besonderem werden lassen, das man nicht alle Tage mitbekommt. Aber lest selbst Martins Bericht über eine faszinierende Runde inmitten von Gebirgen aus Fels und Dampf...

"So kalt wirds schon nicht werden..."

...oder auch der orographierte Hangthermikscherwellenflug - so oder ähnlich könnte man das nennen.

Es ist Ende März, der in den norddeutschen Landen, kann man den Statistiken einer privaten Wetterstation in Braunschweig glauben, doch eher zu kalt ausfällt. Umso mehr freut man sich dann auf den nahenden Urlaub mit einem Segelflugzeug in den französischen Seealpen, die nicht nur eine traumhaft schöne Landschaft bereithalten, sondern auch zu der Zeit schon beeindruckende Segelflüge über der Kulisse verschneiter Hochgebirgsgipfel versprechen. Diese Bilder im Kopf mache ich mich dann am Gründonnerstag auf den Weg nach Süden, den neuen Arcus M des Vereins auf den Haken zu nehmen und das gesamte Gespann nach Gap Tallard zu ziehen. Eine Übernachtung und 1300km später bin ich dann etwas geschafft, aber angekommen. Weil noch genug Zeit ist, stecken wir das Flugzeug noch zusammen, da am nächsten Tag geflogen werden soll.

Daraus wird jedoch nichts, da uns der Motor des Arcus vor zunächst unlösbare Probleme stellt. Irgendetwas tut an der Steuerung nicht, was wir auch nach Stunden Sucherei nicht lösen können. Letztlich haben wir an dem stabilen Tag aber nicht viel verpaßt. In den darauffolgenden Tagen tobt sich erst eine Kaltfront über dem Platz aus, die dann immer mehr in eine in den Bergen hängende Okklusion übergeht. Die Temperaturen sind mit einigen Grad über Null auch nicht so ganz passend für die Gegend, aber immerhin bieten die Wolken in den Bergen ein beeindruckendes Schauspiel.

Wind und Wolken über dem Pic de Bure

Angesichts dieser Bilder blickt man gebannt nach oben und wird der Gewalten, die in diesen Bergen abgehen können, gewahr. Leider ist das alles nicht segelfliegerisch nutzbar, so daß uns viel Zeit bleibt, die kulinarischen Seiten der Gegend zu genießen. So lassen wir uns eine Entenbrust mit provencalischem Gemüse schmecken...

Tom bei den Vorbereitungen für die Gemüsepfanne

Am Dienstag dann besucht uns der Techniker des Flugzeugherstellers höchstpersönlich, der dann nach einiger Sucherei die Ursache für die Probleme beim Motor aufspüren kann. Nach einem erfolgreichen Prüfflug ist allen klar, daß der Fehler gefunden ist, und so fallen wir an dem Abend nach einem gemeinsamen Abendessen und ein paar Bier mit dem Kollegen ins Bett, morgen soll wohl ein fliegbarer Tag werden.

Frühmorgens sieht es aber noch nicht danach aus. Die Wolken hängen immer noch tief und dicht im Tal, aber es gibt ab und an blaue Störungen in der grauweißen Pampe. Das läßt hoffen, daß es über den Tag noch etwas besser wird. Wir bereiten auch alles vor und sind kurz nach Mittag startklar. "So kalt wirds schon nicht werden" spricht Tom, als sich auch halb eins die Wolkenlücken noch rar machen und es nicht nach allzu kräftiger Hammerthermik aussieht. Dennoch setzen wir uns ins Flugzeug und probieren unser Glück. Daß sich das als Fehlannahme herausstellen wird, ahnen wir zu dem Zeitpunkt freilich noch nicht, geschweige denn, daß wir uns die Hoffnung trauen.

Tatsächlich geben uns die Wolken immer mal wieder den einen oder anderen Meter Höhe, so daß wir uns vom Malaup über La Motte du Caire, den Authon bis über die Vaumuses hangeln können. An guten Tagen braucht man da keinen einzigen Kreis, aber bei Basishöhen von 1800m MSL ist nicht übermäßig viel Luft unter dem Kiel, wenn man in den Bergen ist.

Etwas südlich stehen die Cumuli an seltsamen Positionen und die Basishöhe nimmt spürbar ab, als wir über dem Bleonetal ankommen. Plötzlich werden wir mit dem schweren Arcus sanft, aber konstant angehoben. Etwas verdutzt starren wir auf die prägnant geformten Wolken...

Die Oberseiten der Wolken wirken seltsam verblasen...

Jetzt setzt sich in meinem Kopf ein Bild zusammen. Angesagt war relativ geringer Wind im Relief, der aber oberhalb der Berge drastisch zunehmen sollte, bis auf über 30kt. Das paßt zur Form der Wolke, die irgendwie den Anschein einer brechenden Welle hinterläßt. Tatsächlich sind wir hier auf eine Kelvin-Helmholtz-Welle oder Scherungswelle an der Grenzfläche zweier Luftschichten mit stark unterschiedlicher Geschwindigkeit gestoßen, die uns, mal kreisend, mal achternd, bis etwa 2400m MSL anhebt. Schon allein dieses Erlebnis rettet den Tag, da das nur selten so direkt vorkommt und dann noch nutzbar ist.

Einige Spielerei mit dieser Erscheinung später stellen wir fest, daß hier nicht mehr viel zu holen ist, dafür aber in den hohen Bergen zunehmend Sonne steht. Also machen wir uns wieder auf den Weg Richtung Lac de Serre-Poncon. Inzwischen hat sich auch die Thermik wieder besser entwickelt.

Unter den Wolken Richtung Norden

So richtig knackt es aber dennoch nicht und die Ecrins haben ihre Köpfe vollends im Dreck. Also biegen wir kurzentschlossen nach Südosten ins Barcelonettetal ab, wo gerade herrlich die Sonne steht. Am Morgon angekommen, bekommen wir einen unverhofft kräftigen Tritt in den Hintern. Ein paar Kreise später sind wir oben und können die ersten Postkartenfotos von den schneebedeckten Bergen aufnehmen.

Der schneebedeckte Morgon als Postkartenfoto

Einmal da angekommen, machen die Sonne und der in diesen Höhen bei knapp 3000m kräftige Westwind den Ritt Richtung Grand Berard zum Vergnügen. Es geht beinahe kontiuierlich hoch, manchmal mit Ausschlägen bis über 5m/s...

Mehr Berge!!!

Nachdem wir die Kante grinsend bis zum Grand Berard entlanggefräst sind, gibt mir jedoch das Flarmradar Rätsel auf. Irgendwo muß ein Flugzeug 700m höher sein, als wir. Kann nicht sein, dachte ich mir erst, da wir ja schon an der Basis waren, aber das Gerät blieb hartnäckig und der Kontakt da, irgendwo in Richtung des Chapeau de Gendarme etwas westlich von uns. Komisch das... Ob da nicht gar...??? Ich wage es erst gar nicht zu hoffen, daß der Tag jetzt erst so richtig durchzündet.

Weil mir das Geschehen keine Ruhe gibt, wie der da hochgekommen ist, ich mir eigentlich ganz gern die Wolken von oben anschauen will und wir in Komforthöhe am Grand Berard hängen, fliege ich wie ein schnüffelnder Hund auf Wildfährte die Wolkenvorderseiten entgegen der gefühlten Windrichtung ab, ob nicht irgendwo das Wellchen steht, was den Kollegen da hochgebracht hat. Wie ich es auch anstelle, es geht nur runter, was Tom auf dem Rücksitz zu der einen oder anderen spöttischen Bemerkung hinreißt, daß ich einfach so durch dickes Saufen fliege, nur angetrieben von der Hoffnung auf den Welleneinstieg und wir so knapp 1000m verheizen.

Naja, das muß ich dann auch irgendwann einsehen, daß wir jetzt dafür zu tief sind und fliege reumütig zum Grand Berard zurück und aus dem Barcelonettetal heraus. Zu einem schönen Foto des markanten Berges reicht die Höhe nach etwas Kurbelei dann wieder...

Weiße Wunderlandschaft unter der Fläche

Wieder am Morgon angekommen, beraten wir kurz den weiteren Plan, als wieder ein Signal im Flarmradar über uns auftaucht. Keine Ahnung, ob es das gleiche Flugzeug war, aber hier mußte wohl noch etwas stehen. Also schnüffelt der Arcus wieder gegen den Wind und siehe da, schwaches, aber ruhiges Steigen verrät, daß hier neben der Thermik und dem Hangwind noch eine andere Erscheinung in der Luft lag - Wellen.

Ein paar Minuten später und etwas höher wird das auch an der Form der Oberseiten der Thermikwolken wahrnehmbar, was hier los ist.

Unten Thermikwolken und direkt vor uns verwaschene Pileus - Wellenzeichen

Im Schnitt mit knapp 2m/s geht es hoch

Erst noch vor den Wolken, dann darüber hebt uns die nach oben hin stärker werdende Welle stetig nach oben, bis wir die Nase aus den Wolken strecken können. Grinsend genießen wir die stetig besser werdende Aussicht bei glasklarem, blauen Himmel... Zudem nimmt auch der Wind immer mehr zu, erst 40km/, dann bald 60km/h.

Eine Handvoll Segelflugzeuge hinter uns und ein Airliner über uns - sonst nichts...

Bis knapp über 4000m nimmt uns die Welle über dem Morgon mit, dann läßt das Steigen nach. Der Blick nach Nordosten in die hohen Berge offenbart jedoch, daß die Luft auch da oberhalb der Thermikwolken schaukelt. Also machen wir uns auf den Weg und graben nach etwas Sucherei eine Welle über dem Prachaval, dem prägnanten Berg östlich des Flugplatzes St. Crepin aus, die uns mal eben 2m/s spendiert. Das geht dann konstant nach oben... 5000m... und immer weiter. Letztlich müssen wir bei FL193 kapitulieren, da das Limit in den Alpen bei FL195 liegt. Darüber warten die Airliner, mit denen wir uns heute nicht verabreden wollen.

Was für eine faszinierende Aussicht, selbst der Mt. Blanc erscheint in Griffweite und ist doch 1200m unter uns...

 

Blick auf den Mt. Blanc, den höchsten Berg der Alpen, der als einziger den Kopf aus den Wolken reckt

Das Beweisfoto vom Höhenmesser - und es steigt immer noch...

Um nicht über die Höhenbegrenzung zu steigen, machen wir uns wieder auf den Weg Richtung Westen, stets die Nase an der Scheibe plattdrückend. Aus der Höhe wirken plötzlich selbst die Berge der Alpen, die einem, wenn man im Relief fliegt oder wandert, einen beeindruckenden Respekt abverlangen, eher wie eine Kinderburg am Strand. Die vorhandenen 80km/h Wind ließen das recht interessant werden, allerdings fühlt sich der dicke und schwere Arcus bei solchen Sachen erst so richtig wohl. Mit einem Abflugewicht von über 750kg schneiden die Flächen wie warme Messer durch die Butter und wir verlieren gefühlt nur wenig Höhe, obwohl wir mit knapp 200km/h IAS unterwegs sind.

Blick über das Wolkenmeer Richtung Westen

Auffällig sind dann in der dichten Wolkendecke komische Wolkenhaufen, die aus der einförmigen Masse herausragen. Große Berge des Relief können da nicht darunter sein, da wir immer noch in 5000m Höhe hängen und uns die Spitzen der Wolkentürme fast bis an die Nase reichen. Die interessante Form der Erscheinung gepaart mit genügend Höhe läßt uns ausreichend Raum, das einmal genauer zu ergründen.

Riesige Dampfberge im Wolkenmeer, was mag das wohl sein??

Eine orographische Ursache oder Zuordnung zu einer Geländekante unter uns erscheint uns an der Stelle irgendwie unwahrscheinlich, da waren keine großen Berge in der Nähe. Als wir uns das Geschehen dann ansehen konnten, war festzustellen, daß diese Wolkenungetüme sich fast wie Walzen drehten und von einer starken Strömung angetrieben waren. Offenbar handelte es sich hier auch um Scherungserscheinungen, die nur wesentlich stärker waren, als das, was wir im Bleonetal erlebt hatten. Der Test aufs Exempel war, einfach mal in ein Tal zwischen zwei der Walzen zu schauen. In dieser riesigen Himmelsmechanik wurden wir sofort mit fast 3m/s nach oben gehoben, als wir uns vor dem leeseitigen Wolkenberg positerten.

Wie zwischen gigantischen Walzen hebt uns die Welle wieder hoch

Dieses Spiel haben wir noch einige Male durchführen können, wobei auffiel, daß sich die Erscheinung mit dem Wind stromab bewegt. Auch das ist, neben der Tatsache, daß die Intensität wechselte, ein deutliches Zeichen, daß die Herren Kelvin und Helmholtz auch hier ihre Finger im Spiel haben. Strömungsmechanik zum Anfassen kann man das nennen, besser als jede Vorlesung an der Uni ;-)

Einige Zeit später kommen sich die Sonne und die Wolken immer näher - was zunächst noch wunderschöne Fotos zu Folge hat, uns aber gleichzeitig daran erinnert, daß der Tag langsam, aber sicher dem Ende zugeht.

Blick gegen die tiefstehende Sonne

Zudem straft uns die geringer werdende Sonneneinstrahlung ins Cockpit langsam ob unserer Annahme, daß es heute nicht lang geht und nicht sonderlich kalt wird. Bei -25°C Außentemperatur merkt man das aber nach und nach im Cockpit, zumal die Skyboots, die Fußsohlenheizung und die dicke Jacke praktischerweise unten im Auto liegen. Spitzenidee, wenn man in solchen Höhen unterwegs ist, und nie und nimmer damit gerechnet hat. Besser man hat, als man hätte?? Egal, bei den Aussichten.

In Gedanken mit der Sonnenuntergangszeit rechnend, begeben wir uns nun auf den Abstieg, der aus fast 5000m auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Also drehen wir noch eine große Runde Richtung Südwesten und können den nördlichen Teil des Parcours samt der Dormillouse und dem "Flugzeugträger" genannten Feld davor noch aus 4000m Höhe ablichten. Es wirkt seltsam, sich zu erinnern, dort im letzten Jahr unter Hanghöhe entlanggeflogen zu sein... Von hier aus wirkt das so winzig.

Der nördliche, schneebedeckte Parcours

Als wir dann langsam auf die Höhe der Wolken kommen, macht uns die nun tiefstehende Sonne das erste Abschiedsgeschenk: Wir können unseren eigenen Schatten samt Halo in der Wolke fotografieren

Ohne Worte Teil eins

Unter den Wolken angekommen, geht der Weg weiter Richtung Flugplatz. Als hätte sich das Wetter für das was war, und das was noch kommen sollte, entschuldigen wollen, öffnet sich vor uns plötzlich die Wolkendecke nach Westen und bietet, dank der Feuchtigkeit und ein paar Thermikwölkchen, ein weiteres Postkartenbild, das uns wohl lange in Erinnerung bleiben wird.

Ohne Worte Teil zwei

Stumm genießend gleiten wir den Rest der Höhe ab, bis wir uns kurz vor Sonnenuntergang als eines der letzten Flugzeuge in die Platzrunde einsortieren und nach einem absolut vielgestaltigen und unvorhersehbaren Flug wieder wohlbehalten auf dem Boden ankommen. Wir können das Erlebte nur langsam fassen - erst Muckelthermik, dann ein paar kleine Scherungswellen, der spaßige Ritt im Hangwind das Barcelonettetal hinauf und dann noch der epische Wellenhöhepunkt über dem Prachaval mit den anschließenden Runden um die Dampfberge haben nahezu alles dabeigehabt, was diese Art der Fortbewegung so faszinierend macht.

Erschöpft, zufrieden und glücklich lassen wir den Tag bei Wein und Pastis ausklingen, nachdem wir den Arcus wieder in seine Schlafanzüge gesteckt haben.

Nunja, der Rest des Urlaubes ist schnell erzählt. Offenbar hatte das Wetter sein Pulver verschossen, für die nächsten Tage blieben die Wolken zu. Also haben wir am Donnerstag alles eingepackt und sind, nach einer kleinen Abschiedsparty, Freitag wieder Richtung Heimat gefahren.

Letztlich war dieser Urlaub von den Flugstunden her nicht der Bringer. Wenn man den einen Flug jedoch in seiner Erlebnisdichte sieht, war es der bisher beeindruckendste, den wir beide je erleben durften, insofern sehen wir das Ganze mehr als positiv.

Es wird nicht das letzt Mal in den französischen Alpen sein, so vie steht fest!