Aufwinde 3: Leewellen

Geschrieben von Webmaster am .

Den Hangwind haben wir ja bereits in einem eigenen Artikel erklärt. Dieser befindet sich - leicht nachvollziehbar - auf der Luvseite des Hangs, wenn die Windströmung vom Hang nach oben abgelenkt wird. Doch auch im Lee von Hängen und Gebirgen können sich Aufwinde verstecken, deren Ursache nicht so anschaulich ist: Leewellen. Dabei sorgen Schwingungen in der Atmospäre, ausgelöst durch starken Wind, der über ein Hindernis srömt, für hochreichende Aufwinde.

Entdeckt wurden diese Aufwinde mehr zufällig bei einem Flug von Wolf Hirth in den Dreißigerjahren in Hirschberg im Lee des Riesengebirges. Einen Eindruck dieses Fluges beschreibt er bereits 1933 in "Die hohe Schule des Segelfluges":

„Als nach einer halben Stunde die Vorbereitungen beendet waren, folgte der aufregendste Schleppstart meines Lebens. Durch eine außerordentlich verwirbelte Luft ging es in niedriger Höhe über Baumwipfel, Hochspannungsleitungen und Schornsteine. Kaum hatten wir uns 50 m erkämpft, warf uns eine Bö wieder auf 20 m herab. Die Motormaschine vor mir tanzte wie ein wildgewordenes Pferd. Wohl zehnmal war ich nahe daran, die Verbindung zu lösen. Aber ein schwerer Sturz der Motormaschine, durch das herabhängende Seil verursacht, hätte die Folge sein können. Also hieß es die Zähne zusammenbeißen und aushalten. Endlich, nachfünf schweren Minuten, waren 100 m Höhe gewonnen. Nun folgte eine Periode schnellen Steigens bis in 800 m Höhe ... Die Unruhe der Luft war auch in dieser Höhe außerordentlich, aber nichtmehr so gefährlich wie in der Nähe des Bodens.“

"Moazagotl" Wolke über dem Riesengebirge (Quelle: Luftfahrtmuseum Hannover)

Bei diesem Flug im Jahr 1933 schaffte er es, bis in große Höhen zu steigen. Hangwind oder Thermik konnten es zu dieser Zeit nicht mehr sein. Mehere Flüge später, die eine Bänderstruktrur aus Steig- und Sinkgebieten offenbarten, ließen ihn zu dem Schluß kommen, dass es sich hier um eine Wellenströmung handeln musste. Er stellte auch die Zweiteilung der Atomsphäre fest: In geringen Höhen war die Luft wahnsinnig turbulent und ab einer gewissen Höhe war die Strömung laminar und völlig ruhig. Dabei konnte auch endlich eine Erklärung für die "Moazagotl" genannte, stationäre Wolke über dem Riesengebirge gefunden werden, die den Ortsansässigen schon lange bekannt ist. Man wunderte sich nur, wie die Wolke stationär sein kann, da sie immer nur bei starkem Wind auftrat.

Was also genau geht bei solchen Wellenwetterlagen vor sich? Die folgende Abbildung zeigt das Schema der Leewellenströmung gut.

Schema der Leewellenströmung (Quelle: Aeroklub Jesenik)

Leewellen entstehen, wenn eine stabile Schichtung der Atmosphäre vorherrscht. Das ist praktisch das Gegenteil der thermischen, labilen Schichtung, bei der ein Luftpaket immer weiter aufsteigt, wenn es einmal erwärmt wurde. Bei einer stabilen Schichtung würde sich ein Luftpaket, das aus dem Gleichgewicht bewegt wird, wieder auf seine Ursprungshöhe zurückbewegen und dann die Ruhelage überschießen. Es entsteht eine Schwingung dieses Luftpaketes. Die notwendige Auslenkung wird dabei durch das Überströmen des Hindernisses, d.h. einer Bergkette erreicht. Da das ausgelenkte Luftpaket gleichzeitig mit dem Wind wegbewegt wird, entsteht aufgrund der Schwingung eine wellenförmige Trajektorie des Luftpakets, wie in der Abbildung zu sehen. In den aufwärts gerichteten Bereichen können die Steigwerte so groß werden, um Segelflugzeuge steigen zu lassen. Diese Steig- und Sinkbereiche wurden bereits in den Dreißigerjahren analysiert und entsprechend beschrieben.

Wellenstruktur im Riesengebirge (Quelle: TU Berlin)

Unterhalb der Wellenbewegung entstehen dann turbulente Bereiche, die die "Lücken" ausfüllen. In diesen kommt es zur Rotation der Luftmasse und es entstehen teilweise extrem turbulente "Rotoren". Genau diese Luftschicht in den Rotoren beschrieb Wolf Hirth so passend. Rotoren sind durch zerfetzte Cumuluswolken gut erkennbar. Oberhalb dieser Wolken, wenn die Leewellenströmung durch das Aufsteigen zur Kondensation der Feuchte führt, entstehen linsenförmige sogenannte Lenticulariswolken, die den Verlauf der Strömung gut abbilden. Damit ist auch die Natur des Moazagotls klar: Es handelt sich dabei um die Lenticulariswolke des Riesengebirges, die ebenfalls stationär vom Boden erscheint, da die Welle stationär über dem Gebirge ist. Tatsächlich strömt die Luft jedoch permanent, d.h. die Wolke bildet sich mit dem Aufsteigen der Luft auf der Luvseite und löst sich beim Absteigen und Erwärmen der Luft auf der Leeseite wieder auf. Je nach Feuchte der Luft können diese Wolken größer oder kleiner oder auch mehrschichtig auftreten.

 

Riesige Lenticulariswolke im Riesengebirge bei hoher Feuchte

Ein paar Stunden später hat die Feuchte abgenommen und die Wolke ist deutlich kleiner...

Später am Tag: Unten die Rotorcumuli, oben der Moazagotl

Auch bei uns im Verein gibt es eine Gruppe an Segelfliegern, die ganz bewusst nach solchen Wetterlagen sucht. Insbesondere im Herbst und Winter, wenn einerseits die Tiefdruckgebiete starken Wind bringen und dazu die mangelnde Sonneneinstrahlung die Entstehung von Thermik verhindert, sind Wellenwetterlagen häufig. Die letzten beiden Fotos sind auch von dieser Gruppe an einem großen Flug im Riesengebirge aufgenommen worden.

Insgesamt kann man Wellen als die fünfte Dimension des Segelfluges bezeichnen, da sie erstens enorme Steigwerte bringen können, die dazu nicht vom Sonnenstand abhängen. Damit kann man über den gesamten Tag fliegen. Zweitens reichen die Wellen oft bis in enorme Höhen über das Hindernis und teilweise bis in die Stratosphäre. Aktueller Rekord der maximalen Flughöhe mit einem Segelflugzeug sind über 22000m, erfolgen in den Anden mit einem speziell dafür gebauten Gerät.

Unsere Wellenflieger fahren oft in die Sudeten, d.h. ins Altvater- und Riesengebirge zwischen Tschechien und Polen. Wie gut auch dort die Wellen sind, kann man daran festmachen, dass sie dort den ersten Flug über 1000km am 01.11.2018 bewerkstelligt haben. Auch sonst sind noch einige Berichte von ihnen bei den Erlebnissen hinterlegt.

Die Welle im Dunst des Riesengebirges am 01.11.2018

In den Alpen, wenn die Bedingungen passend sind, lassen sich auch oft Leewellen finden. Doch auch bei uns "vor der Haustür" kann man in der Welle fliegen. Kleinere Exemplare lassen sich schon in den Wesebergen finden, wo man sie ab und an auch direkt aus dem Hangwind erreichen kann. Bei den Ithwiesen oder an der Schaumburg sind bekannte Auslöser zu finden.

Hauptziel bei uns ist jedoch der Harz und da insbesondere die Brockenwelle. Bei geeigneten Bedingungen kann die auch mal über 7000m hoch gehen, wie unsere Wellenflieger beweisen konnten...

 

In 7000m Höhe über dem Harz