"Can you climb Flightlevel 230?"
...fragt der Lotse auf Bremen Radar eines der Flugzeuge, die noch auf der Frequenz sind. "Aber sowas von!!" schallt es vom Angesprochenen im Brustton der Überzeugung zurück und wir, David und Martin, halten uns im Arcus auf die Bäuche, fasst das doch den Tag auch für uns recht gut zusammen. Auch wir sind heute in der Harzwelle bis dahin gestiegen.
In fast 7000m über dem Brocken
Wie wir da hingekommen sind, dabei unseren Höhenrekord für den Harz weit überboten haben und die Chance hatten, mit den Lotsen von Bremen Radar zu reden? Lest Martins Bericht...
Es wird Herbst in deutschen Landen...
...die Temperaturen sind Ende September deutlich heruntergegangen, es ist (endlich) wieder etwas feuchter geworden und draußen sind schon die ersten gelben Blätter zu sehen. Mit den Tiefdruckgebieten kommt dann auch der Wind, auf den es unsere Wellenflieger im LSV so abgesehen haben.
"Wollen wir am WE mal den Harz antesten?" schreibt David mir am Donnerstag. "Sonntag? Hab ich auch schon überlegt" antworte ich sofort. Die Frage "Soll ich mal den Dampfer reservieren?" wird dann nur mit einem kurzen "Mach mal" quittiert - wir sind uns einig.
Also reserviert David den Arcus und wir beide beobachten das Wetter. Die Windvorhersage sieht sehr gut aus, die Strömung soll fast genau auf Süd stehen und im Laufe des Tages ein wenig mehr Westkomponente bekommen. Das passt für den Harz und den Brocken perfekt. Nur die Temperaturschichtung ist nicht ideal. Grund dafür ist, dass der Wind Folge eines kleinen Tiefs ist, das sich wie das Schwänzchen eines Schweins über dem Südwesten Deutschlands einringelt. Leider soll deswegen am Samstag Nachmittag Kaltluft reinkommen. Was den Thermikfliegern das Herz höher schlagen ließe, ist für Wellen schlecht, da man gerade eine stabile, d.h. nach oben hin warme Luft haben möchte. Mit der Inversion in 1500m Höhe und dem Temperaturverlauf nahe an der Standardatmosphäre sollte es aber gehen.
Das sehen auch die Vorhersagemodelle vom DWD und Skysight so. Die Welle soll von früh weg vorhanden sein und dann im Laufe des Tages mit der weiter labilisierenden Luft gegen frühen Nachmittag ausgehen. Das verspricht doch einen nutzbaren Tag, also treffen uns am Samstag Abend und rüsten den Arcus ein. Sauerstoffanlagen, Navigationstechnik, Kälteschutz, Headsets, Karten und alles weitere wird eingebaut. Zudem tanken wir das Gerät voll, bis der Sprit oben im Ausgleichsgefäß zu sehen ist. Lieber genug davon dabei haben, Luft im Tank ist immer blöd. Kurz nach acht abends ist alles bereit, noch ein letztes Bier und dann ab ins Bett.
Los gehts...
Halb acht am Sonntag, es ist kurz nach Sonnenaufgang, gehen die Hallentore auf uns wir räumen den Arcus raus. Außer uns beiden ist niemand weiter da. Man merkt auch hier, dass Oktober ist. Das Gras ist taufeucht und die Sonne lugt nur knapp über die Bäume.
Sonnenaufgang kurz nach sieben
Ein paar Minuten später steht alles draußen. Wir hängen das Flugzeug ans Auto und zotteln alles nach Westen an den Start. Lasse hatte sich gestern noch dankenswerterweise bereiterklärt, uns rauszulassen.
Der Arcus in der flachen Morgensonne
Kurz nach neun geht es dann los, Triebwerk an und raus aus dem Platz. Es ist sehr gering bewölkt und schon aus geringer Höhe fällt auf, wie klar die Luft ist. Das ist der Vorteil der Kaltluft, man hat herrliche Sichten. Na wenn jetzt noch die Welle steht, wird das ja ein schöner Tag werden. In ca. 300m über Platz ist der Harz schon super zu erkennen und wir fragen uns, ob die über dem Brocken zu sehenden Wolkenwurst der Rotor ist... Aber erst einmal hinkommen.
Blick auf den Harz kurz nach dem Start: Die Wolkenwurst könnte der Rotor sein
Mit steigender Höhe wird der Wind immer stärker und kommt leider, da aus Süd, genau von vorn. Erst nur 35km/h stark, werden da schnell fast 60km/h draus. Entsprechend mühsam gestaltet sich der Weg und wir lassen den Motor bis kurz nach Braunschweig laufen, als der Höhenmesser auf die 2000 geht. Dann schiebt David die Wölbklappe nach vorn und es wird im Gleitflug weitergeflogen. Ab und an kommen ein paar Flusen und bei Schladen können wir das erste echte Steigen ausgraben. Vermutlich war das die Sekundärwelle des Nordwestharzes bei Goslar, zumindest ging es erst etwas turbulent und dann laminar hoch. Leider waren die Steigwerte recht mäßig, aber wir haben aus knapp 1100m reichlich 1500 machen können, als das Steigen ausgeht. Fast 500m kostenlos sparen Sprit. Martin, wie immer etwas ungeduldig bei mäßigem Steigen, meint, das reicht und wir können eine Ordnung nach vorn springen. Dort genau steht die Rotorwurst, unter der man mit genügend Geschwindigkeit durchhuscht und dann auf der Luvseite das Steigen einfädelt. So zumindest die Theorie...
Vom Rotor zum Motor...
Erst fühlt sich das gut an, aber dann schlägt Murphy zu. Natürlich ist der Rotor dann besonders stark, wenn man mit nicht allzuviel Höhenreserve loszieht. Mal -3,5m/s, mal -5,5m/s und als Extremwert -8m/s waschen uns in kürzester Zeit runter. Fahrt und Nerven behalten ist die Devise und wir schießen unter dem Rotor durch, in der Hoffnung, dass es auf der Luvseite hochgeht. Irgendwann wird das Saufen auch weniger und die Luft ruhiger, aber die Höhe ist jetzt auch schon auf 600m über Grund geschmolzen. Hmmm, unten rausfallen aus der Strömung wollen wir nicht, genausowenig in Ameisenkniehöhe mit dem Motor rumexperimentieren. Also egal, raus das Ding. Ich fliege auf dem Rücksitz und David wirft den Quirl an. Der ist noch warm, springt sofort an und - wie nicht anders zu erwarten - zündet dann auch sofort das Steigen des Rotors. Naja... Diesmal sind es dann zwischen 4-7m/s mit Motor und innerhalb weniger Minuten zeigt der Höhenmesser 1500m an. Also wird das Triebwerk wieder versenkt und die Welle hebt uns mit 3m/s hoch. Das wäre also geschafft. Auch hier ist die Luft glasklar...
Glasklare Luft in ca. 2500m
Es steigt und steigt, wir kommen langsam an die Grenze zum Luftraum C in FL100, was heute leicht unterhalb der 3000m Grenze ist. Bei Ascherlseben Info haben wir niemanden erreicht, der dort das Wellenfenster öffnen könnte. Also wechseln wir auf Bremen Radar, wo gerade eine Controllerin weniger als eine Handvoll Flugzeuge sortiert. Auch ein Segelflugzeug ist dort schon, das in ca. 4000m über Bad Harzburg hängt. Beim Zuhören bekommen wir mit, dass das Wellenfenster nicht aktiv ist, also holen wir uns eine Einzelfreigabe bis FL130 und bekommen einen Transpondercode im Austausch. Also weiter nach oben, die Aussicht genießen. Unaufgefordert kommt dann noch der Funkspruch "D-KKGF, cleared for FL150". Das nehmen wir doch gern und steigen weiter :-)
Zwischenzeitlich gab es dann kurz Flaute. Die Windgeschwindigkeit nahm ab, das Steigen auch und wir dachten schon, OK, vorbei. So war es ja auch angesagt. Doch die Brockenhexe musste wohl nur kurz ein paar Kohlen auflegen, ein paar Minuten später fanden wir wieder Steigen wenige km hinter dem Brocken. Es waren zwar nur 0,5m/s, aber uns reichte die Aussicht. Wir hatte ja nix weiter vor... "Ist ja Eichhörnchensteigen..." meint David etwas genervt. Auf meine verdutzte Nachfrage präzisierte er nur, mühsam ernährt sich das Wellenhörnchen. Aha...
Das hat offenbar auch die Brockenhexe gehört und noch ein Scheit nachgelegt. Plötzlich strukturiert sich die Bewölkung unter uns wieder, die Steiggeschwindigkeit geht dann auf bis zu 2m/s hoch und die Schwingung legt noch einen Gang zu. So lassen wir Meter um Meter unter uns und holen uns eine Freigabe nach der anderen...
Blick auf den Ostharz aus FL180
Auf zu unserem Harzhöhenrekord
In der Zwischenzeit sind wir permanent auf Bremen Radar und hören, wie der Controller nach dem Schichwechsel die Flugzeuge sortiert. Es ist gar nicht so einfach, die Meldungen und Freigaben zu verstehen. Ansonsten ist faktisch tote Hose. Die eine oder andere Echo Klasse meldet sich, mal sogar ein UL, das auf FL110 will (warum auch immer??), mal eine Zweimot. Airliner gibt es kaum. Für Gelächter sorgt dann das Call Sign "Star Trek niner niner..." Was wir lachend im Arcus erst für einen Scherz halten, ist ernst gemeint. Das Rufzeichen "Startrek" gibt es wirklich. Damit ist ein Flugzeug der Star Wings Dortmund gemeint.
Und weiter steigt es. Bisher hatten wir maximal reichtlich 5200m im Harz. Die lassen wir bald unter uns. FL200... und es geht weiter hoch. Wir holen uns die nächste Freigabe auf FL220.
Blick aus 6500m: Die Luft über uns wird schwarzblau
Immer wieder beeindruckend ist, wie die Luft nach oben dunkler wird. Am Boden kennt man ja das typische Himmelblau. Mit der klaren Kaltluft heute ist ja der Himmel eh schon dunkler und tiefblauer. Fehlen dann noch mehr als 6000m Atmosphäre über einem, nimmt der Himmel nach oben einen schon fast schwarzblauen Farbton an, ähnlich wie das typische Königsblau von Füllertinte. Was ein herrlicher Anblick.
Nach und nach werden die Flugzeuge im Funk wieder ein paar mehr. Irgendwann kam die Frage an eines davon:
Controller: "Can you climb Flightlevel 230?"
Flugzeug: "Aber sowas von!!!"
Uns zerreißt es fast vor Lachen und David meint, das hätte er mal bei seiner AZF Prüfung bringen sollen. Da wäre es bestimmt nicht so witzig gewesen. Wir steigen derweil auch weiter und fragen die nächste Höhe an.
Wir: "D-KKGF, gerade auf FL215 bei Wernigerode, erbitte Steigen über FL220 bis FL240"
Controller: "D-GF, das ist verstanden, Freigabe bis FL240 erteilt. Das ist dann doch Rekord für Sie, oder?"
Wir: "Negativ, wir waren schon auf FL235, aber der Tag ist ja noch lang..."
Controller: "Respekt..."
Grinsend nehmen wir das zur Kenntnis und freuen uns jetzt schon ein Loch in den Bauch über die völlig unkomplizierten Einzelfreigaben für das Vorhaben. Ob der Lotse wohl selbst Flieger ist? Leider macht die Welle dann in FL231 schlapp, höher kommen wir leider nicht mehr. Parallel bildet sich gerade wieder ein herrlicher Lenti im Lee des Brockens, den wir zur Orientierung nutzen können.
Blick aus dem Fenster auf den Lenti in FL231.
FL231 sind heute 7000m über Meeresspiegel, beeindruckend...
Angesichts der Erwartung mit der Kaltluft hätten wir heute kaum damit gerechnet, so weit hoch zu kommen. Umso mehr freuen wir uns über das Wetter und die unkomplizierten Freigaben. Zudem kann man unser Ergebnis auch mit dem Funkspruch von vorhin beschreiben. Can you climb FL230? Aber sowas von...
Noch eine Weile genießen wir die Aussicht da oben. Es ist ca. -35°C kalt, wenn man das bei dem Thermometer im Arcus irgendwie schätzen kann. Das Ding hört bei -25°C nämlich auf... Glücklicherweise sorgen die klare und trockene Luft in Kombination mit der heute noch brauchbar hohen Sonne für einen ausreichenden Wintergarteneffekt. Frieren müssen wir nicht.
Heimfahrt
Nach und nach ist aber zu sehen, dass der Kern des Tiefs kommt. Der bringt dann deutlich mehr Feuchte in den niedrigen Levels mit und die Wolken verdichten sich jetzt auch im Harzlee sichtbar. Da wir noch nach Hause nach Wilsche müssen, beschließen wir, uns langsam auf den Weg zu machen. Erst einmal fahren wir noch den Lenti entlang weiter nach Westen in Richtung Hannover. Der reicht dann bis hinter Salzgitter, obwohl da kaum Berge sind. Wo das auch immer herkommt, fragen wir uns. Steigen finden wir dann kaum mehr und entschließen uns, nach Hause zu fliegen. Also kurz den Controller gefragt, ob wir in FL200 Richtung Norden abbiegen können. Das bekommen wir freigegeben und weiter geht es. So können wir Peine aus fast 6000m Höhe fotografieren.
Peine aus FL200 fotografiert
Weiter geht die Reise mit 250km/h über Grund. Mit der True Airspeed und dem Rückenwind reichen angezeigte 120km/h dafür locker aus, beeindruckend... So brauchen wir keine Vierteilstunde bis Gifhorn, wo wir immer noch 5500m Höhe haben. Reicht knapp bis nach Hause.
Weiter schließen sich dann die Wolken, wobei irgendwo über dem Elm und Braunschweig kurzzeitig noch eine Wolkenlücke mit einem Lenti darüber auftauchen. Auch da fragen wir uns, ob das ein Scherungseffekt ist, oder wo auch immer das herkommt. Leider haben wir ob des zunehmenden Bedeckungsgrades keine Zeit mehr, mit der Wolke zu spielen.
Blick Richtung Braunschweig: Hier bildet sich auf einmal ein Lenti
Über Gifhorn angekommen steigt es dann plötzlich auch noch. Anscheinend waren da noch andere Wellen in der hohen Atmosphäre unterwegs. So recht ausfliegen konnten wir das aber nicht mehr, da wir uns dann für den Abstieg entschlossen haben. Also kurz den Controller um eine Sinkfreigabe gebeten, die er uns sofort gab und dann begann der Sinkflug in das Wolkenloch nördlich von Peine. Er fragte dann noch, wie kalt es da oben war. Auf unsere Antwort mit den geschätzen -35°C war er dann auch beeindruckt...
Ab durch die Wolkenlücke ins Herbstwetter...
Da der Holm vom Arcus noch kalt war, kondensierte dann noch die Feuchte in der konvektiven Schicht und man kann den Verlauf des Holmgurtes hervorragend sehen.
Thermographie am Flügel: Kondenswasser über dem Holmgurt
Am Boden wehte der Wind bei der Landung leider komplett von der Seite und wir bekamen im Endanflug noch eine machtige Böe verplättet. Man brauchte schon volles Querruder und 130km/h Anfluggeschwindigkeit, um den Arcus auf Kurs zu halten. Westlich des Vereinsheims im Windschatten des Waldes war es dann ruhiger und wir konnten den Dampfer sanft auf den Boden setzen. Geschafft... passend, als die Wolken über uns die letzten Lücken nach oben schließen, stehen wir überglücklich vor der Halle. Wer würde bei dem Blick nach oben glauben, dass wir gerade 4,5 Stunden geflogen sind...
Zu Hause und der Arcus vor der Halle...
FL231, 7000m in der Harzwelle. Damit haben wir unseren bisherigen Höchstpunkt um fast 2000m überschritten und auch die 5000m Startüberhöhung, die man für den Höhendiamaten benötigt, mal wieder erreicht. Beeindruckend und das Ganze mit der Aussicht. Theoretisch hat man aus 7000m Höhe eine Sichtweite von 300km. Wahnsinn. Was für ein Tag, das hat sich komplett gelohnt.
Fazit:
Vielen Dank an die Kollegin und den Kollegen bei Bremen Radar für die unkomplizierten Freigaben, fast hatten wir das Gefühl, dass es Ihnen auch Spaß gemacht hat. Zumindest haben Sie so zwei Segelflieger überglücklich gemacht. Und natürlich Danke an Lasse fürs Rauslassen.
Am Ende haben wir dann noch ein paar Familien in Wilsche gesehen, die mit ihren Kindern in dem immer noch vorhandenen Südwind die Drachen steigen lassen haben. Wir hatten unser Steigerlebnis im Herbstwind zu dem Zeitpunkt bereits absolviert :-)
Alles in allem war es mal wieder
Post Scriptum...
Es ist immer überraschend, wie viele Fliegerkollegen wohl den Tag vor Glidertracker verbracht haben, zumindest kamen fast direkt mit der Landung schon Nachrichten zu unserem kleinen Erlebnis rein. Gernot aus Aue Hattorf schickte uns dann noch eine Aufnahme, auf der wir gerade knapp über 7000m sind...
7001m
Skylines sagt, im Maximum waren es 7078m MSL. Naja, wem auch immer man mehr glauben will. Der Höhenmesser stand jedenfalls auf maximal 6980m.