Wandersegelflug zum Klippeneck und zurück
In den letzten Jahren hat Oliver schon ab und an mal einen Wandersegelflug unternommen, da sich das mit der eigenstartfähigen DG-400 ganz gut gestalten lässt. Auch dieses Jahr hat er es wieder probiert, musste sich jedoch mit deutlich interessantem Wetter messen. Das endete dann in etwas mehr Spritverbrauch des Motors, als geplant, aber, wie immer, kommen bei einem solchen Vorhaben eine Reihe interessanter Erlebnisse herum.
Schauer hinter der Fläche - gutes Segelflugwetter geht anders...
Was ihm dabei so untergekommen ist, hat er in einem kleinen Bericht zusammengefasst, den Ihr hier lesen könnt...
Wandersegelflug zum Klippeneck und zurück
Eigentlich ist es an Himmelfahrt zu windig. 50 km/h an der Basis laden nicht gerade zu entspanntem Fliegen ein. Aber was soll‘s, der Urlaub ist gebucht, die Hotels reserviert, der Flieger gepackt und aufgetankt. Um 10:03 UTC starte ich auf der „27“ in Wilsche und drehe in Richtung Süden. Bereits in meinem ersten Bart kann ich gleich wieder den Motor ziehen. Der starke Wind droht, mich in die Kontrollzone Braunschweig zu drücken. Das geht ja gut los.
Als norddeutscher Flachlandflieger habe ich reichlich Respekt vor Mittelgebirgen. Harz, Weserbergland, Hessisches Bergland und Röhn gehören nicht gerade zu meinen bevorzugten Segelflugrevieren. Landschaftlich ausgesprochen reizvoll, keine Frage. Aber je weiter man nach Süden kommt, um so stärker kommt einem von unten das Gelände entgegen. Mit ganz viel Wald und wenig Außenlandefeldernversehen macht das das Reisen interssant. Und wenn sich dann noch zerrissene Thermik lustig mit Hangwind verwirbelt, bleibt einem nichts anderes übrig, als zwischendurch den Rotax auszuklappen und so der DG400 etwas Bodenfreiheit zu verschaffen. Das ist nichts, womit man beim OLC oder Weglide einen Blumentopf gewinnen könnte, aber wenigsten komme ich so voran.
Es kommt, wie es kommen muss. Über der Wasserkuppe ist mein 20 Liter Kraftstoffvorrat aufgebraucht. Das Gute an der Wasserkuppe ist, dass ihr ein weit abfallendes Gelände Richtung Süden folgt. Der Gleitflug nach Bad Kissingen ist genüsslich entspannend. Vielleicht kann ich dort tanken. Wenn nicht, hat der Ort sicherlich viele schöne Hotels, in denen man übernachten kann. Ist ja schließlich ein Kurort.
Eine Erfahrung habe ich auf meinen vielen Wandersegelflügen gemacht: Egal, wo Du hinkommst, wird Dir geholfen. Man ist irgendwie ein Exot. Und die Segelfliegerfreunde auf fremden Plätzen machen alles möglich, um Dich zu unterstützen. So auch in Bad Kissingen. Eigentlich hat man dort keine Tankstelle. „Aber für einen Segelflieger…“. Plötzlich ist da ein voller 20 Liter Kanister, den zwei Kissinger unverzüglich in mein Flugzeug umfüllen. Eine halbe Stunden später bin ich wieder in der Luft, auf dem Weg nach Rothenburg ob der Tauber, meiner ersten Etappe. Die Stadt begrüßt mich mit schönstem Sommerwetter und strahlend blauem Himmel.
Tankstopp in Bad Kissingen
Der nächste Morgen ist dicht bewölkt. Von Norden nähert sich ein Regengebiet. Gleichzeitig zeigt die Wetter-App, dass es südlich der Schwäbischen Alb nur leicht bewölkt ist und den Tag über auch so bleiben soll. Mein Tagesziel ist das Klippeneck. Ich entschließe mich, mit Motorkraft in Richtung Ulm zu fliegen. Sägezahn geht nicht, da die Wolken zu tief sind. Also schön mit 140 km/h im Geradeausflug, was die ineffizienteste Art des Fliegens ist. Ich kann zuschauen, wie meine Tankanzeige rückwärts zählt. Hilft alles nichts, ein Tankstopp in Aalen wird notwendig. Um hinzukommen ist Zickzackkurs angesagt. Oben dicke Wolken, in denen die Gipfel der rechts stehenden 700 Meter hohen Berge bereits verschwinden, links Windkraftanlagen und dazwischen ein schmaler Bergrücken, über den ich in das dahinter liegende Tal vorstoßen kann.
Nach dem Tanken warte ich vor dem Weiterfliegen erst einmal ab, was das Wetter macht. Die Wolkendecke reißt immer weiter auf. Bald entwickeln sich herrliche Wolkenstraßen, die längs über der Schwäbischen Alb stehen. Genau auf Kurs, ein Umweg über Ulm ist nicht mehr nötig. Zweieinhalb Stunden nach meiner Tankstopplandung bin ich wieder in der Luft und hänge mich unter die Wolkenstraße.
Habe ich schon erwähnt, dass es nach wie vor reichlich windig ist? So windig, dass der Hahnweide-Wettbewerb an diesem Tag neutralisiert wird. Das will schon was heißen. So ist immerhin der Luftraum über der Alb frei. Heute kann man lernen, dass eine Wolkenstraße nicht immer nutzbaren Aufwind bringt. Sie kann sich auch aus engen, zerrissenen, kaum zentrierbaren Aufwinden speisen.
Zwischenzeitliches Motoren lässt mich schließlich über dem Klippeneck ankommen. Welch ein riesiges Gelände! Vor lauter Gras weiß ich gar nicht wo ich landen soll. Es ist auch überhaupt nichts los. Keine Flugzeuge am Boden, an denen man sich orientieren kann. Kein Mensch im Funk. Hallo, wo seid Ihr alle? Es ist langes Himmelfahrt-Wochenende und niemand ist draußen? Da ist in Wilsche ja selbst an einem verregneten Sonntag mehr los. Ich setze mich mitten ins Grün und rolle hoch bis zur Jugend- und Weiterbildungsstätte des Baden-Württembergischen Segelflug-Landesverbandes, meiner heutigen Unterkunft. Abendverpflegung gibt es dort nicht. Die Wirtin empfiehlt mir eine 3 km Wanderung zum benachbarten Dreifaltigkeitsberg, direkt an der Bergkante entlang, mit tollem Blick ins Tal. Genau der richtige Ausgleichssport nach stundenlangem Sitzen. Leider ist in der Herberge das warme Wasser ausgefallen, Duschen geht heuer nicht.
Wie bekomme ich Kraftstoff? Eine Tankstelle gibt es, aber was nützt sie, wenn keiner da ist, der sie aufschließt? Zum Glück bin ich nicht der einzige Gast in der Unterkunft. Beim Frühstück lerne ich Esther und Wolfgang kennen. Beide sind begeisterte Segelflieger und werden den Tag für ein 800 km-Dreieck rund um Stuttgart nutzen. Denn heute ist Streckenflugwetter. Endlich! Gerne helfen sie mir beim Tanken, und während ich letzte Startvorbereitungen mache, heben sie schon mal ab und hängen sich unter die ersten Cumulanten, die über der Alb aufquellen.
Warten auf den Start am Klippeneck, während Wolfgang und Esther bereits losfliegen
Mein ursprünglicher Plan war, in Richtung der Alpen zu fliegen. Das kann ich jedoch vergessen, denn es regnet im gesamten Vorland. Auch von Norden nähert sich ein Tief, das es mir in den nächsten Tagen unmöglich machen würde, aus Süddeutschland herauszukommen. Ich reise also notgedrungen heute wieder nordwärts, die Alpen müssen dann eben bis zum nächsten Jahr warten.
Tagesziel ist Bad Neustadt an der Saale. Die Strecke ist ähnlich dem Hinflug. Am Ende der Schwäbischen Alb links abbiegen und über Rothenburg und Sommerach gen Norden. Bad Neustadt erreiche ich am frühen Nachmittag. Allerdings habe ich noch keine Unterkunft. Wegen meiner Routenänderung konnte ich nichts vorbuchen. Nach der Landung gönne ich mir ein Kaltgetränk auf der schattigen Clubheim-Terrasse und suche mir was Geeignetes bei Booking aus. Ich bin gerade beim Verpacken meines Fliegers, da klingelt das Telefon. Das Hotel ist dran. Man habe gerade gesehen, dass ich mich bei ihrem Partnerhotel eingebucht habe. Dieses sei jedoch wegen einer Feier nicht verfügbar. Ob es mir etwas ausmache, stattdessen zum selben Preis im Schlosshotel zu übernachten. Dieses sei auch näher am Flughafen. Na gut, sage ich und mache mich auf den Weg.
Das Schlosshotel in Bad Neustadt
Wandersegelflug heißt: Immer durchgeschwitzt ankommen, zwei Leinenbeutel in der Hand, einen mit Batterien, Ladegerät und Luftraumkarten, den anderen mit dem Notwendigsten an Wechselkleidung und Kulturbeutel gefüllt. Dazu eine Sonnenbrille auf der Nase und eine drollige weiße Mütze auf dem Kopf, die außer einem Segelflieger kein vernünftiger Mensch mehr tragen würde. So betrete ich das Foyer des besten Hotels am Platz. Im Hintergrund spielt jemand am Flügel. Die Terrassentüren sind weit zum Park hin geöffnet. Mehrere Gäste unterhalten sich und sind in feinstes Tüch gekleidet. Offenbar eine Hochzeitsgesellschaft. An der Rezeption werde ich bereits erwartet und freundlichst begrüßt. Eine junge Bedienung reicht mir ein Glas Champagner. „Wegen meiner Mühen aufgrund der Umbuchung.“ Echte Profis! Und dann das Zimmer. Riesig, mit zwei Fensterseiten und einem Badezimmer das größer ist als meine damalige Studentenbude. Edel, edel. Das warme Wasser funktioniert auch.
Die kommenden zwei Tage sind wettertechnisch herausfordernd. Direkt nach Hause geht nicht, weil ein Regenband quer über Weserbergland, Harz und Fläming liegt. Den Thüringer Wald entlang nach Sachsen rein geht auch nicht wegen Regens. Es bleibt nur ein ganz schmaler minimal segelflugtauglicher Streifen nach Halle. Quer über den Thüringer Wald hinweg, natürlich dort, wo er am Höchsten ist. Westlich des Rennsteigs regnet es bereits, ich muss mich beeilen, sonst schließt sich das Tor. Anschließend östlich an Erfurt vorbei nach Weimar abgleiten und dann einmal im Uhrzeigersinn um die Kontrollzone Leipzig bis nach Halle. Klappt auch alles ganz gut. Mit ein bisschen Slalomfliegen um Regenschauer herum. Und etwas Motorkraft wegen großflächig abschirmender Wolkenfelder.
Regenschauer über dem Thüringer Wald
Die Segelflieger in Halle nehmen mich freundlich in Empfang, ziehen mich zu meiner Abstellposition, helfen mir beim Tanken und bieten mir einen Kaffee an. Ich könne auch im Clubheim übernachten. Da ich jedoch noch Sightseeing in Halle machen möchte, entscheide ich mich für ein Stadthotel.
Am nächsten Morgen heißt es warten. Eine Regenfront nach der nächsten zieht durch, wobei am Flugplatz selbst nur wenige Tropfen fallen. So sind die Flächenbezüge wenigstens nicht zu nass zum Einpacken. Währenddessen unterhalte ich mich mit dem Flugleiter bei einer Tasse Kaffee. Er ist ein begeisterter Segelflugzeug-Reparateur. Seine Leidenschaft ist das Herrichten von verunfallten Segelflugzeugen. Ganz stolz zeigt er mir Fotos aus seiner Werkstatt. Vorher-nachher. Abgedrehte Rümpfe, gebrochene Flächen, zersplitterte Cockpitschalen. Dass das zu reparieren geht, hätte ich nicht gedacht. Junge, Junge, mir wird bei den Bildern ganz anders. Glücklicherweise hatten alle Vorbesitzer ihre Bruchlandungen überlebt.
Blick in den Gepäckraum vor der letzten Etappe
Am frühen Nachmittag ist es bis Wilsche endlich regenfrei und ich starte zur letzten Etappe. Nach der Landung schaut mich Fritze ungläubig an. „Aus Halle, bei diesem Wetter? Im Segelflug?“ Ich gebe ja zu, auch heute war ich froh, dass meine DG400 einen Motor hat. Nur für Notfälle, versteht sich.