11 Klassenrekorde auf einen Streich
Am 07.08.2022 hat Marianne Hagemann einen riesigen Streckenflug absolviert. 880km freie Strecke und davon knapp 850km als angemeldetes Dreieck an einem Tag sind wirklich eine Ausnahme. Wie sehr, wird dadurch untrstrichen, dass dieser Flug ihr ganze 11 Klassenrekorde in Deutschland beschert hat.
880 km einmal um Berlin herum (Aufnahme aus WeGlide)
Hier haben wir schon einmal einen Vorgeschmack veröffentlicht. Wie immer ist dieser Flug jedoch nicht einfach so entstanden, sondern hat etwas Vorbereitung und eine Reihe an Versuchen benötigt. Damit Ihr alle daran teilhaben könnt, hat sie das in einem Erlebnisbericht verarbeitet, den Ihr hier lesen könnt.
Der Flug vom 07.08.2022 oder wie ein „Deutscher Klassenrekord“ entsteht..
Was ist eigentlich ein „Deutscher Klassenrekord“?
Vereinfacht gesagt ist dies eine Bestleistung bezüglich Geschwindigkeit oder Strecke mit einem Segelflugzeug erflogen, bei dem der Start in Deutschland erfolgen muss. Im Gegensatz dazu können „Deutsche Rekorde“ weltweit erflogen werden. Diese Rekorde werden jedoch aufgrund der dort besseren Segelflugbedingungen fast ausschließlich in Afrika oder Australien erflogen.
Zur Vorgeschichte:
Im Laufe des Sommers kam bei mir die Idee auf, zumindest in der Frauenwertung in der „Deutschen Meisterschaft im Streckensegelflug“, weiter vorne mitzuspielen. Dazu braucht es möglichst weite Flüge, die wegen der Bonusregelung in der Punktewertung als Dreiecksflug angelegt sein müssen. Zudem sind die Wendepunkte vor dem Start „anzumelden“, d.h. in den Logger einzutragen, wie sie geflogen werden. Eine erste zu wirklich großen Flügen geeignete Wetterlage zeichnete sich schon drei Tage vor dem 02.07.2022 ab. Da ich nicht alleine fliegen wollte, fragte ich Helge Liebertz aus Ummern, ob er nicht auch Lust hätte, am Samstag zu fliegen. Die hatte er und auch auf meine Frage, wo es denn hingehen könnte, hatte er eine passende Antwort. Die Aufgabe, die mir am Samstag schließlich unter die Nase hielt, verursachte bei mir im ersten Moment Schnappatmung: 850km als angemeldete Strecke, soweit war ich bis dahin noch nie geflogen… Aber wer nicht wagt, gewinnt nicht und so zogen wir am Samstag los. Helge startete aus Ummern mit der ASH 25 und ich flog von Wilsche mit der ASG 29E los. Das Dreieck mit den Wendepunkten Görlitz und einem Wendepunkt bei Stettin in Polen haben wir dann auch beide an dem Tag erfolgreich beendet. Abends kam dann von Helge der Hinweis, ich hätte damit die Bedingungen für mehrere Klassenrekorde erfüllt. Erst sorge diese Nachricht bei mir für große Freude. Leider habe ich mich jedoch bei der Ausfüllung des Antrages selbst ausgetrickst und die falsche Nummer als Loggerkennung eingetragen. Damit war leider die Anerkennung des Rekordes futsch, aber wenigstens war der Flug für die DMST-Wertung gültig. Aber der Stachel saß tief – eigentlich war die Leistung ja vollbracht – daher war die Motivation jetzt umso höher. Ziel ist, es bei nächster Gelegenheit noch einmal zu probieren…
Neuer Versuch am 06.08.2022
Am Samstag, dem 06.08. war die Konstellation wieder ähnlich: Helge gibt die Aufgabe vor. Heute soll es von Ummern beziehungsweise Wilsche erst nach Demmin gehen, das kurz vor Greifswald im Nordosten Mecklenburgs liegt. Danach führt uns der Kurs nach Krosno in Polen und über den Brocken zurück zu unseren jeweiligen Startplätzen. Wie es dann aber immer so kommt – man braucht ja drei Dinge gleichzeitig: Wetter, Flugzeug und Zeit zum fliegen – auch heute soll es nicht sein: Leider funktioniert das Mikrofon in Helges ASH nicht richtig und wir finden uns nicht zusammen. Helge ist irgendwo vor mir und ich will ihn unbedingt einholen. Bei dem Versuch verbastele ich mich aber in der Nähe des Plauer Sees, komme zu tief und finde unten die vom kräftigen Wind zerrissenen Aufwinde nicht. Es bleibt nichts übrig, der Motor muss mich vor der Außenlandung retten. So geht der Flug zwar erst einmal weiter, aber mit Rekorden ist es für heute aus und vorbei. Helge erfüllt an diesem Tag die Aufgabe und ich kann Ihn nur dazu beglückwünschen.
Erneuter Versuch am 07.08.2022
Nachdem es gestern wieder nicht klappen wollte, sieht die Wetterlage für den direkten Folgetag, den Sonntag, immer noch verheißungsvoll aus. Es sind deutlich weniger Wind und höhere Wolkenuntergrenzen als am Vortag vorhergesagt, die auf höhere Schnitte hoffen lassen, da man die Thermik besser zentrieren kann. Leider jedoch soll die Thermik bei der leicht wärmeren Luftmasse erst eine gute Stunde später einsetzen. Schauen wir mal, wie es sich entwickelt.
Heute muss ich allein fliegen, da Helge Familientag anberaumt hat. Ein Blick auf die Vorhersage lässt mich zu dem Schluss kommen, dass die Aufgabe vom Vortag auch heute machbar sein sollte. Also starte ich einen erneuten Versuch. Unser Vereinsvorsitzender Volker lässt sich doch noch angesichts der ausnehmend guten Wetterlage überreden, ein letztes Mal mit der D-ELHG, unserer seit Jahrzehnten genutzten Schleppmaschine zu starten, obwohl Sie am Vortag gerade verkauft wurde… Leider kommt uns da noch ein kleines technisches Problem an der Schleppmaschine in die Quere, welches noch mit vereinten Kräften zeitnah gelöst werden kann. So komme ich um 11:15Uhr endlich in die Luft. Das ist ziemlich genau die erwartete Stunde später als am Vortag - ob das wirklich noch für 870km reicht frage ich mich da? Bang schweift mein Blick nach oben und es sind erst wenige Wölkchen am Himmel zu sehen. Wird das was oder sind da die Augen größer als das Wetter? Wenn es klappen soll muss ich durchgehend mehr als 100 km pro Stunde schaffen. Aber die Basis ist schon mehr als 1300m über Grund gestiegen, deutlich höher als am Vortag und ich fliege los. So geht es zügig in Richtung der ersten Wende bei Demmin. Ab Neustadt Glewe fliege ich etwas vorsichtiger als gestern, nur um nicht in die gleiche Falls zu tappen, wie gestern… Nach zwei Stunden habe ich Demmin erreicht, der Zeitplan ist gut eingehalten und es geht weiter Richtung Süden zur zweiten Wende bei Krosnow in Polen. Aber der verflixte Oderbruch, wenig bekannt für starke Thermik, will nicht so wie ich wohl will. Die Wolken werden immer mehr, die Einstrahlung weniger und die Wolkenuntergrenze steigt nicht richtig an. 1300m, mehr gibt der nasse Boden nicht her. Der Stundenschnitt in der Geschwindigkeit fällt auf 90km/h, viel zu wenig, um die Aufgabe heute noch zu absolvieren. Wie immer sieht es in Polen, wo der Boden wesentlich trockener ist, deutlich besser aus, nur ich kann wegen der Lufträume noch nicht nach Polen ausweichen. Daher muss ich in den sauren Apfel beißen und setze den Flug westlich der Oder fort.
Nach einer quälend langen Stunde darf ich endlich die Oder überfliegen und die polnischen Wälder zeigen sich wieder von Ihrer besten Seite. Die Aufwinde verstärken sich auf im Mittel 4m/s, die Basis steigt auf 1800m über Grund und der Weiterflug gerät zu einem Fest. Die Durchschnittsgeschwindigkeit steigt wieder spürbar an und ich kann um 15:30Uhr Krosnow umrunden. Damit bin ich wieder im Rennen, der Zeitplan ist wiederhergestellt. Auch wenn dies bereits die vorletzte Wende ist, stehen noch 390km bis nach Hause an, die es zu absolvieren gilt. Noch ist der Drops nicht gelutscht, also wird weitergeflogen.
Nachdem ich bei Guben wieder in Deutschland bin, werden die Wolken immer weniger und die Gleitphasen immer länger. Aber die Basis ist unverändert hoch, die wenigen Wolken bringen zuverlässig 2,5m/s Steigen und so geht es - etwas verhaltener zwar, aber noch zügig - an der Südkante des Berliner Luftraumes entlang bis nördlich der Kontrollzone Holzdorf. Hier endet der thermisch gute Sandstreifen und es droht der lange Weg durch die im Normalfall thermisch nicht so gute Magdeburger Börde. Danach führt mich der Weg hoch auf den Brocken, der immerhin 1000m höher als das übrige Gelände liegt. Helge, warum hast Du ausgerechnet den Brocken im Sinn, höher ging es als Wendepunkt wohl nicht, denke ich mir nur, als ich gefühlt nach oben aus dem Cockpit in Richtung des markanten Berges schaue…
Also beschließe ich, vorsichtig weiterzufliegen, um nur nicht tiefer als 1000m kommen, schließlich ist es schon später Nachmittag, das Gelände nicht von bester Güte und zudem liegt die Kontrollzone Cochstedt in voller Länge mitten im Weg. Aber die wenigen Wolken liefern zuverlässig Aufwinde und stehen auch zufällig genau da, wo ich sie gerade brauche, um nicht zu tief abgleiten zu müssen. Ziel ist aber immer noch der Brocken, wie komme ich da bloß hoch? Also arbeite ich das Thema der Reihe nach ab. Erstmal wird vorsichtig über Cochstedt hinweggeflogen. Danach erfolgt der Einstieg in den Harz in der Nähe des Westernstädtchens „Pullmann City“ südlich der Rappbodetalsperre. Hier ist der Harz mit rund 500m noch nicht so hoch, so dass ich gefühlt nicht ganz so tief nach Thermik suchen muss. Der erwartung folgend steigen mit dem höher werdenden Gelände ich Richtung des Hochharzes auch die Untergrenzen der Wolken wieder etwas an und liegen dann bei fast 2000m. Dann sieht auch der Brocken gar nicht mehr so beeindruckend groß aus…
Endlich kann ich um 18:00Uhr in 1900m den Brocken umrunden, der Zeitplan hat gepasst. Die letzten 80 km erfolgen im langen Endanflug und endlich kann ich entspannen und die Aussicht zufrieden mit mir und meinem Flugzeug genießen. So ein hoher letzter Wendepunkt hat doch Vorteile, wenn man ihn einmal erreicht hat; Helge ich danke Dir, taktisch klug gewählt.
Aus den Fehlern des ersten Versuches habe ich auch gelernt: Jetzt wird die Dokumentation regelgerecht vervollständigt, vom Vereinskollegen Rainer Mehlhase abgezeichnet und anschließend samt Flugdatei von Ihm nach Braunschweig zur Geschäftsstelle des DAeC gesendet. Nach 14 Tagen kommt von dort die freudige Bestätigung: Es werden 11! (in Worten: Elf) Klassenrekorde in der Frauenwertung in der „18m-Klasse“ und „Offenen Klasse“ anerkannt.
Warum so viele? Die Leistung wurde zwar in der 18m- Klasse geflogen, erfüllte jedoch die Rekordbedingungen für die „Offene Klasse ebenfalls. Obwohl in der offenen Klasse eigentlich die leistungsmäßig besseren Flugzeuge unterwegs sind, ist die von mir geflogene Durchschnittsgeschwindigkeit über die 840km höher als die bisher in der offenen Klasse erflogenen Durchschnittsgeschwindigkeiten bei kleineren Flügen, die im Normalfall schneller geflogen werden sollten.
Marianne Hagemann mit ihrer ASG-29
So bleibt mir am Schluss nur Danke zu sagen an alle, die mitgeholfen haben, mir diesen Flug zu ermöglichen. Zu allererst danke ich natürlich meinem Mann Jürgen, der seine verrückte Frau immer unterstützt, dann Helge für die geniale Planung, unserem Vereinsvorsitzenden Volker, der doch noch über Seinen Schatten gesprungen ist und mich an den Himmel gezogen hat, dem schnellen Reparaturteam, das die Schleppmaschine flott gemacht hat, an Rainer für die Unterschriften als Sportzeuge und natürlich nicht zuletzt den restlichen Vereinsmitgliedern des LSV Gifhorn, die den Flugbetrieb an diesem Tag ermöglicht haben.