Sechs Tage Wandersegelflug
Wandersegelflug, das Überbrücken großer Gebiete, nur mit einem Segelflugzeug von Flugplatz zu Flugplatz zu fliegen und eben einmal nicht jeden Abend wieder am heimischen Flugplatz landen ist heute immer noch ein Abenteuer, auch wenn die Möglichkeiten dank motorisierter Flugzeuge und guter Infrastruktur auf den Flugplätzen besser werden. Viel zu oft nimmt man es sich vor und macht es doch nicht.
Oliver über dem Rhein
Oliver hatte sich die Tage über Himmelfahrt genau das vorgenommen und hat die Aktion durchgezogen. Noch viel schöner ist, daß er das Ganze auch literarisch zu einem interessanten Bericht verarbeitet, den wir Euch nicht vorenthalten wollen. Aber lest selbst...
Sechs Tage Wandersegelflug mit der DG-400
Der Mittwoch zeigte sich von seiner fliegerisch eher unschönen Seite, als ich morgens meine DG400 aus dem Anhänger zog. Tiefe Basis mit starker Bewölkung, die geringe Thermik von einem starken Nordwestwind zerrissen. Sollte ich es wagen, meinen lange geplanten Deutschland-Rundflug anzugehen, oder den Abflug auf morgen verschieben? Ein Blick auf den Wetterbericht zeigte schnell, wenn ich heute nicht abflöge, könnte ich meine Tour gleich ganz vergessen, denn die folgenden Tage sagten für die Region nördlich des Harzes unfliegbares Regenwetter voraus, während es im Süden - dort, wo ich hinwollte - deutlich schöner werden sollte. Die DG400 hat einen Motor, der mich hoffentlich vor Außenlandungen bewahrt und der lebhafte Wind würde mich genau in die richtige Richtung treiben.
Also ging ich es an: Ziel Gotha-Ost. Meine Schwester Julia wohnt in Erfurt und bot mir die erste Übernachtungsmöglichkeit. Die Tour führte über Aschersleben, die östlichen Ausläufer des Harzes und am Kyffhäuser vorbei. Wie erwartet, war es segelfliegerisch an dem Tag nicht zu schaffen. Ohne Motor hätte ich mir bereits in Wolfsburg einen Acker suchen müssen. Erst über dem Harz wurde es besser. Der Himmel heiterte auf und sorgte für ausreichend Thermik, zudem lagen die Höhenzüge quer zum Wind, was für einen weiteren Boost sorgte. Leider währte die Freude nicht lange, denn schon über dem Thüringer Becken beschattete ein Stratus in großer Höhe als Vorbote des kommenden Nordharz-Schlechtwetters die Landschaft und erzwang ein letztes Ziehen des Motors.
In Gotha-Ost schien alles verlassen. Niemand im Funk, kein Mensch ist zu sehen. Mit den Segelfliegern am Platz hatte ich tags zuvor abgesprochen, dass ich gegen 17 Uhr landen würde. Nun war es jedoch erst 13:30 Uhr und ich stellte mich bereits auf eine längere Wartezeit ein, bis jemand vorbeikäme, um mir zu zeigen, wo ich mein Flugzeug über Nacht abstellen könne. Aber weit gefehlt. Kaum rolle ich von der Bahn, ging die Tür vom Vereinsheim der Ultraleicht-Flieger auf und Peter, ein alter Hase, der früher zu DDR-Zeiten Sport-Fallschirmspringer war, bot mir zur Begrüßung Kekse und einen frisch aufgebrühten Kaffee an. Das freute das Fliegerherz. Nachdem die DG400 sicher am Boden verzurrt und in ihren Schlafanzug verpackt war, konnte mich meine Schwester abholen. Die erste Etappe war geschafft, das Abenteuer „Wandersegelflug“ hatte begonnen.
Sicher verpackt in Gotha nach dem ersten Flugtag
Der Wunsch, einmal von Flugplatz zu Flugplatz zu reisen, beschäftigt mich bereits seit mehreren Jahren. Vielleicht war dieses sogar der heimliche Grund dafür, dass ich damals die DG400 gekauft hatte. Auf unbekannten Plätzen zu landen, am nächsten Tag mit eigener Kraft zu starten und dabei genügend Stauraum für Gepäck zu haben, erfordert ein hinreichend robustes Fluggerät. Die Flugroute hatte ich mir bereits einige Wochen vorher ausgeguckt. Die Internetseite www.travelbyglider.org lieferte eine erste Auswahl möglicher Flugplätze, wo man als Wandersegelflieger willkommen sein würde, wo man im Eigenstart in die Luft gehen und wo man Kraftstoff nachtanken könnte. Die endgültige Streckenwahl orientierte sich dann daran, ob der Platz am Werktag Flugbetrieb ermöglicht, und ob es in der Nähe geeignete Unterkünfte gibt. Ein Schlafen im Zelt oder im Vereinsheim schied allein deshalb schon aus, weil ich keinen Platz zum Mitnehmen eines Schlafsacks, geschweige denn eines Zeltes hatte. Das Gepäck musste ohnehin auf ein Minimum reduziert werden, denn neben Kleidung sollten auch Flächenbezüge, Verzurrzeug, Ladegerät und 2-Taktöl mit. Nachdem ich wenige Tage vor Abflug mit den ausgewählten Flugplätzen Kontakt aufgenommen hatte und von allen freudig willkommen geheißen wurde, konnte das Unterfangen am Mittwoch vor Himmelfahrt starten. Die Strecke sollte von Wilsche über Gotha-Ost nach Giengen/Brenz am Rande der Schwäbischen Alb führen, dann nach Westen in den Hunsrück und über Soest/Bad Sassendorf und die Große Höhe bei Delmenhorst zurück nach Wilsche. Insgesamt 1300 km, von Mittwoch bis Montag über das verlängerte Himmelfart-Wochenende.
Bestes Wetter am zweiten Tag
Am zweiten Reisetag ging es bei bestem Segelflugwetter weiter Richtung Giengen. Schäfchenwolken schmückten den Himmel, der Wind hatte von Nordwest auf Nord gedreht und würde mich auch heute wieder zusätzlich anschieben. Ich startete in Richtung Westen, um im Lutherjahr noch einen Blick auf die Wartburg zu werfen, dann drehte ich auf Kurs Süd, um zwischen Thüringer Wald und Röhn, entlang des Steigerwalds dahinzugleiten, bis sich schließlich die Schwäbische Alb am Horizont abzeichnete.
So weit war ich bisher noch nie segelfliegerisch von meinem Heimatplatz in der Heide entfernt gewesen. Meine Pilotenerfahrung wurde durch plattes Land geprägt. Das führte bei diesem Flug prompt zu der neuen Erfahrung, dass eine Landschaft auch ohne Berge stetig ansteigen kann, und dass man diesen Anstieg aus der Luft kaum erkennt. Kurz hinter Würzburg stellte ich nämlich überrascht fest, dass die Bauernhöfe und Dörfer schneller wuchsen, als mir lieb war. Irgendwann war meine selbst gesteckte Sicherheitshöhe von 500 m AGL unterschritten und ich musste den Motor anwerfen. Wie konnte das bei diesem Flugwetter passieren? Ganz einfach: wenn meine DG400 beim Vorfliegen mit 1,5 bis 2 m/s sinkt und bei dieser Geschwindigkeit das Gelände um 1 m/s ansteigt, nähert man sich mit fast 3 m/s der Erde an - also fast doppelt so schnell, wie in der norddeutschen Tiefebene. Ich war wohl ein wenig unaufmerksam, oder vom Fliegen so begeistert, dass ich dabei zu tief kam und keinen Thermikanschluss mehr fand.
Das Wetter wurde von Tag zu Tag besser, der Hochdruckeinfluss nahm zu. So kam es, dass der Freitag während des Fluges von Giengen nach Idar-Obrstein komplett blau war. Der Wind hatte weiter auf Ost gedreht und war mir weiterhin wohlgesonnen. Landschaftlich war dieser Flug, der mich nördlich des Stuttgarter Luftraums entlangführte, wieder eine wahre Freude. Erst die Alb, dann das Kraichgau. Später die Rheinquerung bei Speyer, das Rheintal zwischen Ludwigshafen und dem Pfälzer Wald und der Einflug in den Hunsrück. Gebirgskanten sind schon praktisch. Ist einem die Basis über der Hochebene der Alb zu niedrig, springt man einfach über die Kante und ist schwupps 200 m höher. Diese Geländesprünge hatte ich an dem Tag mehrere Male, schließlich fällt die Landschaft zum Rhein hin immer weiter ab.
Leider stellte sich der Rhein als Wetterscheide heraus. Konnte ich zuvor noch gut in der Blauthermik vorankommen, ging linksrheinisch gar nichts mehr. Tote Luft, die Thermik war ausgeknipst. Ohne Motor hätte ich meine DG gleich in Speyer neben die historischen Flugzeuge des Technik Museums stellen können.
Auch dieser Tag erweiterte mein Wissen um wichtige Erkenntnisse. Erstens, das Flughafenrestaurant von Idar-Oberstein hat einen hervorragenden, überregional bekannten Spießbraten. Zweitens, Motorflieger fliegen nach Bauchgefühl. Als ich am frühen Nachmittag in Idar-Oberstein ankam, standen dementsprechend viele „Echos“ fein säuberlich in Reih und Glied geparkt auf dem Green des Gaststätten-Vorfeldes. Der Meister des Spießbratens saß in seinem Restaurant vor einem großen Schwenkgrill, in der rechten Hand die Grillzange, in der linken Hand das Funkgerät, über das besonders hungrige Piloten schon im Anflug ihre Bestellungen aufgaben. Mit meiner DG fühlte ich mich ein bisschen wie ein Exot. Der Grillmeister bat mich noch, meinen Segelflieger über Nacht so weit wie möglich am Westende des Platzes abzustellen. Nicht, wie ich zuerst dachte, weil mein Motorsegler den flugzeugtechnischen Gesamteindruck vor seinem Restaurant störte, sondern, weil er am Nachmittag noch ein paar Militärhubschrauber erwartete, und er sich Sorgen machte, mein Leichtgewicht könnte vom Rotorwind hinfortgeweht werden. Sehr aufmerksam. Die Hubschrauber kamen dann aber doch nicht.
Allein unter Motorflugzeugen in Idar-Oberstein
Als ich am nächsten Morgen, einem Sonntag, zurück auf den Platz kam, war ich der Einzige. Kein Mensch, kein Flugzeug, keine Wolke. Der Flugplatz Idar-Oberstein liegt auf einem Berggipfel, der sich über die Landschaft erhebt, und man hat einen herrlichen Blick auf den Hunsrück. Ich machte meinen Flieger fertig, schnappte mir ein Buch, setzte mich in den Schatten und wartete auf Thermik und einen Flugleiter. Letzterer kam bald, ersteres eigentlich gar nicht. Segelflieger waren nicht zu sehen. Hier beginnt der Segelflugbetrieb des örtlichen Vereins typischerweise erst am Nachmittag. Vielleicht lag es aber auch an der fehlenden Thermik, dass keiner rauskam. Heute sollte es nach Soest/Bad Sassendorf bei Paderborn gehen. Der Wind, ein echter Kumpel, hatte sich für mich bereits auf Süd eingedreht.
Von Idar-Oberstein aus kann man Richtung Nordosten den Höhenzug Soonwald erkennen. Als sich dort ein erstes kleines Wölkchen abzeichnete, wollte ich nicht länger zögern, stieg in den Flieger, schmiss den Motor an, rollte an die Bahn. Und musste warten. Ein Motorflieger hatte über Funk mitgeteilt, dass er im Queranflug sei. OK, den lasse ich natürlich landen, bevor ich über die Bahn zum Start rolle. Kaum drehte der in den Endteil, meldete ein nächster Motorpilot seinen Queranflug. Dann noch einer und noch einer. Am Ende gab es eine Kette von vier E-Klasse-Flugzeugen, die alle zur Landung ansetzten, was ein bisschen aussah, wie der Anflugverkehr in Frankfurt. Es war kurz nach 12 Uhr, der Spießbraten lockte.
Wie am Vortag war linksrheinisch thermisch wieder alles tot. Die Wolke, die vor dem Start noch über dem Soonwald hing, hatte sich inzwischen in Wohlgefallen aufgelöst. Auch an der Hangkante ging nichts, oder ich traute mich bei dem recht schwachen Wind nicht tief genug herunter. Über dichtem Wald ohne Außenlandemöglichkeit sollte man den Motor nicht erst in Baumwipfelhöhe ziehen. Also noch einmal den Rappel angeschaltet und bis zum Rhein hin abgeglitten. Eine Landschaft wie im Bilderbuch. Unter mir lag das Obere Mittelrheintal, der Fluss, tief in die Landschaft geschnitten, rechts Burg Stahleck und Burg Pfalzgrafenstein, links die Loreley. Und kaum kam ich rechtsrheinisch an, wurde ich vom ersten Bart des Tages begrüßt, so dass ich stetig aufwärts kreisend die Gegend genießen konnte. Weiter ging es dann mit Kurs Nord über den Westerwald und das Sauerland mit dem großen Biggesee nach Soest/Bad Sassendorf.
Über dem Oberen Mittelrheintal
Bereits am Abend zeichnete sich ab, dass es am nächsten Tag Gewitter geben würde. Auf der Internetseite des Wetterdienstes wurde professionell gemutmaßt, sie gingen erst am Nachmittag los. Gingen sie aber nicht. Beim Aufwachen zeigte ein Blick auf das „Regenradar“, dass es bereits über den Niederlanden blitzte. Schade um das Hotelfrühstück. Ich gab mir zwei Stunden, bis dahin musste ich einen Hallenplatz für meine DG400 organisiert haben. Bei Gewitterböen und Starkregen sollte sie nicht draußen stehen. Zu meinem großen Glück - und mit einem riesigen Dankeschön an die Fliegerkollegen - fand sich in einer der Hallen noch einen Unterstand, sodass ich anschließend, bequem im Flugplatzrestaurant sitzend, das Frühstück mit einem Fliegertoast nachholen und die Naturgewalten über mich hinwegziehen lassen konnte.
Rückseitig war der geplante Kurs zur Großen Höhe frei. Kaum war der Regen am frühen Nachmittag weg, wurde der Flieger aus der Halle geholt und abgeflogen. Thermisch ging natürlich noch nichts. Zunächst musste im Sägezahn die Westfälische Bucht zwischen Soest und dem Teutoburger Wald überquert werden und auch noch über das Wiehengebirge. Weiter nördlich hatte es jedoch nicht geregnet, sodass dort mit besseren Bedingungen zu rechnen war. So kam es dann auch. In der Nähe der Kontrollzone Diepholz standen die ersten Bärte. Anschließend ging es sogar so gut, dass es mich bei Harpstedt beinahe von unten in den Luftraumdeckel von Bremen gedrückt hätte.
Der Empfang auf der Großen Höhe war ausgesprochen freundlich. Vielleicht lag es daran, dass ich aus Wilsche kam und gleich von mehreren gefragt wurde, wie es Inge und Uwe gehe. Man erinnerte sich offenbar gerne daran, dass Inge hier seinerzeit Kassenwartin gewesen war. Meine DG brauchte ich nicht einzupacken. Ich bekam einen Hallenplatz, Kraftstoff und eine Cola und wurde kurz darauf von meinem Vater und Klara abgeholt, die in Delmenhorst wohnen.
Auf der Großen Höhe
In Delmenhorst bin ich aufgewachsen. Bereits damals hatte ich vom Segelfliegen geträumt, es aber aus verschiedenen Gründen nie geschafft, als Schüler damit anzufangen. Von daher erfüllte sich nun der Jugendtraum, einmal über der Großen Höhe in einem Segelflugzeug zu sitzen.
Der letzte Tag des Deutschland-Rundfluges ging wieder zurück nach Wilsche. Durch starke Abschirmung und absolute Windstille ging thermisch gar nichts. Zum Glück war die Strecke über Nienburg und Celle relativ kurz, sodass ich mir über meine Tankfüllung keine Sorgen zu machen brauchte. Immerhin weiß ich jetzt, dass die DG400 im Sägezahn 9 Liter Kraftstoff auf 160 km bei durchschnittlich 120 km/h verbraucht.
Wandersegelflug ist eine ganz andere Art des Segelfliegens als das Punkten im OLC. Mag sein, dass der sportliche Ehrgeiz hinter dem Genussfliegen zurücksteht. Das Erschließen neuer Regionen und das Kennenlernen anderer Flugplätze steht im Vordergrund. Dagegen ist das schnelle Vorankommen oder das Zurücklegen einer möglichst weiten Strecke weniger wichtig. Und wenn man zwischendurch den Motor ziehen muss? Was soll’s, dafür ist er ja da.